Poesie im Alltag

Hier finden Sie eine wechselnde Auswahl meiner Gedichte und Aphorismen:

 

Frühlingsverlangen

Heiß erwartet
Treiben fleischig Knospen
Sie sind schon am Zerreißen
Der nackte Faun erwacht

Schamlos
Tropft die Zeit
Von nassen Zweigen
Der alte Mond schaut zu

Frech spreizt sich die Lust in dieser Nacht…

 

 

Das Lied der alten Eiche

Noch stehe ich aufrecht
Im krachenden Frost
Obschon die Bruchstellen schmerzen
Nach den Herbststürmen
Mein Denken strömt in die Tiefen meines Wurzelwerks
Zur Mutter hin
Meine klammen Arme reichen jedoch
Weiterhin in die Welt
Loslassen ist eine Kunst, die uns das Leid lehrt

Das wisst sogar ihr
Die ihr mich neuerdings umarmt
Aber ich trau dem Frieden nicht
Seid ihr doch nicht einmal vor euch selbst sicher
Menschen baumelten von meinen Ästen
Wie Klöppel ohne Glocken
Habt ihr das schon vergessen
Was ist, wenn ich euch im Weg bin
Dann falle ich ebenso wie meine Brüder und Schwestern

Die neben mir wuchsen und vergingen
Wie meine Freunde, die ihr herausgerissen habt aus der Erde
Geschält und
Zersägt
für Planken, Brücken, Bretterbuden
Für ein Gerüst oder ein Kreuz, das ihr für die Toten errichtet
Weil ihr den besten eurer Brüder an ein solches geschlagen habt
Ich weiß, ihr sucht einen Sinn in eurem rasenden Eifer
Aber ich trau dem Frieden nicht

Noch stehe ich aufrecht gegen die Zeit
Und hoffe in Demut auf einen milden Frühling

 

Corona-Blues

Wie Nebelschwaden aus den Auen steigen
Relative Zahlen aus dem Gewirr absoluter Gedankengänge
Ein klammer Hauch weht über die abgeernteten Felder
Der Vernunft
Und lässt mich schaudern angesichts
Des Einerseits-und-Außerdems

Wo ist das Licht, frag ich
Und sei es nur ein Funke in der Nacht
Ein leises Ja, ein abgetrotztes Doch
Verdreht, allein, bist du bereit
Die Welt als Schauspiel auszulegen
Im Schein der Bühne erst verliert sich deines Egos Klage

Wenn Tiefe so zur Höhe wird, der Tod zur Lust am Leben
Erfahren wir vielleicht, wer weiß, letztendlich Gnade

 

Herbstwald

Siehst du den Nebelatem im Gezweig
Den geisterhaften Tanz der Feen
Wenn Schleier durch die Kronen wehn
Und Laub aufglüht in diesem Licht
Das kaum mehr steigt

Hörst du den Häher, der den Wald bewacht
Den Buntspecht, wie er schafft
Und baut
Als wäre ihm seit je vertraut
Was dir und mir verborgen bleibt

Spürst du den Tau auf deiner Haut
Den Blätterboden unter deinen Füßen
So federnd weich
Der Mutter Hauch, nimmst du ihn wahr
Den milden Duft nach Pilz und Moder

Spinnen weben über dein Gesicht
Das leise weint
Ein Netz aus Trost
Als trauten sie dem Gott nicht
Zu bewahren, was allein verloren scheint

Wenn Fülle weicht und Fäulnis wird
Verwelken alle Träume
Was treibt mich noch, was hält
Fragst du
Wenn schattenschwer der Tag zerfällt

Es ist ein Ringen überall
Ein Nehmen und ein Geben
Trotz Nacht und Kälte in der Welt
Sei dir gewiss, den tiefsten Grund uns noch erhellt
die unverzagte Lust am Leben…

 

Bis zum Morgen

Noch ist es Tag
Und hart das Licht
Die Last der Schatten jedoch wächst
Ein Wink der Uhr, die Gier nach Dir
Mein Durst sucht sich den Dunst der Schenke
Ich tauche ein
ich niste, brüte

Allein
Mit Dir
Werd ich ganz heiß
Und greif zum Schwur
Ich liebe Dich
Auf ewig
Jetzt

Der Rausch ist wie ein wilder Fluss, der ins Vergessen mündet
Dein Mund ein kleiner Tod in dieser Nacht…

 

ÜberWunden  (aus Chirons Tagebuch)

Wo nur finde ich Worte
Die ich wie Wasser
Über deine Wunden träufeln kann, Schwester
Wo nur finde ich Worte
Die dich erlösen
Die dich lustvoll entflammen
Oder in den Schlaf singen
Wo nur finde ich Worte
Die deine fiebrige Stirn kühlen
Die dich wiegen und wärmen
Und halten
In welcher Höhle, auf welchem Gipfel
In welchem Schlund
Finde ich den Schlüssel
Zu dir
Schwester, Mutter, Geliebte
Tochter der Nacht
Ich frage dich
Wo nur finde ich Worte
Für dich
Erst dann
Wird meine Suche enden
Endlich
Und meine Wunde wird heilen…

 

Unter Bäumen

Im Schatten endlich
Danke ich den alten Säulenheiligen, die ihre Äste über mich breiten
Für ihren Schutz vor der gleißenden Sonne
Ich höre das Knacken im warmen Holz
Rieche Mulch und Moder
Ein kühler Hauch streift meine Haut

Noch habe ich Zeit
Ich atme tief
Der Wind spricht mit den Zweigen
Fenster öffnen sich im Blätterwald
Wunderkerzengleich entflammen junge Stämme
Und bunte Falter leuchten auf
Sie tanzen federleicht

Bei Farbenspiel und Vogellaut
Spür ich Erhabenheit
Die Rinde unter meinen Fingern
Der Eichelhäher warnt
Ein leises Plätschern führt zum Bach
Zu Hahnenfuß und Mädesüß
Wie einst, jedoch

Die Vögel zwitschern anders als vor Tagen
Ducken tiefer ins Geäst
Als wüssten sie
Was ich nicht glauben will
Nichts bleibt!
Bis eine erste Bö die Birke vor mir biegt
und mich zum Aufbruch treibt

 

Endlich

Farn streicht über Haut
Musik rieselt dazwischen
Klammheimlich kommst du

 

New Orleans
(In Erinnerung an New Orleans und Fats Domino 2017)

Wer sagt
Frauen verheißen immer nur Gutes
Vergisst Kassandra, Pandora oder Katrina
Singt Fats mit Barkeeper Kevin
Der wie ein Leuchtturm hinter der Theke steht
Auf Pete’s Felsenklippe
Zwischen Mississippi und Meer

Von Leichen singt er
Und schwimmenden Häusern in öligem Schlamm
Von Plünderung und Fledderei
Von ausufernder Gewalt
Aber auch von Hand in Hand
Und Schulter an Schulter
Here’s to you, my friend

Er hebt sein Whiskyglas und triumphiert
Auferstanden sind wir doch
Immer wieder
Und aufgetaucht aus dem ganzen Dreck
Zwischen Blue Notes und Mardi-Gras-Beads
Die wie buntes Louisianna-Moos in den Lebenseichen hängen
Warum nicht auch heute, singt er

Mit Voodoo und Halleluja
Weht uns der Spirit der Zauberer
Durch’s NOLA-Labyrinth
Wir schlürfen Gumbo und Jambalaya
Austern à la Cajun Cuisine
Und spüren Fiddleklänge wie Farbspritzer
Auf Zunge und Ohr

Wir tanzen nach Creole-Art
Und folgen dem Rhythmus der Straßen
Vogelfrei
in der Faust eine Lilie
Während der Zydeco-King
Auf seinem Waschbrett
Ein heißeres Hosianna schrammelt…

 

Lichthungrig                                                                                

Wenn der Lichthunger nagt
Reicht weder die Sonne des Südens
Noch der aufgehende Morgen
Ihn zu stillen
Es sind die leuchtenden Himmel des Nordens
Auf die meine Kompassnadel zeigt
Und der Gesang der Sterne
Der mich hinauf treibt bis zum letzten Kap
Unwissend wahrhaftig
Bis ein Stern in das Crescendo grätscht
Und dem Sterben ein Ende bereitet
Ein wildweiser Bote aus den Tiefen des Alls
Der mit dem Staub der Sonne
Meinen Magnetpol verschiebt
Und den Nachthimmel erglühen lässt
Grün wie das Werden selbst
Zeigt er mir
Wie aus dem Ende ein neuer Anfang wird…